Mit seinen 17 Kilometern Länge ist der Donaukanal in Wien ein lineares Orientierungselement für die Stadt, zentraler Frei- und Erholungsraum, aber auch Partymeile. Mit den schwimmenden Gärten von Carla Lo Landschaftsarchitektur hat der Donaukanal nun ein weiteres Angebot und das Wiener Zentrum einen neuen Freiraum erhalten. Die Bauteile hierfür kamen natürlich per Schiff.
Hätte man vor wenigen Wochen noch die verrostete Tür mit den abwehrenden Spitzen überklettert, wäre man verbotenerweise über den schmalen Metallsteg des Wehrs gegangen. Schon nach wenigen Schritten hätte man wieder den festen Beton der rund 120 Meter langen Schleuseninsel unter sich gehabt. Und man wäre nicht der oder die Erste gewesen: Graffiti-Tags, Zigarettenstummel und leere Bierdosen zeugten auf den Überresten der Kaiserbadschleuse nicht nur von dem regen Nachtleben am Donaukanal, es waren auch Spuren einer Aneignung und Nutzung. Ob diese trotz Verbot und Gefahr stattgefunden hatte, oder gerade deswegen, bleibt an dieser Stelle offen. Denn schon jetzt – nur knapp drei Monate nach dem Baubeginn – finden sich an genau dieser Stelle schwimmende Gärten. Dass dieses Projekt wirklich noch realisiert wird, hat eigentlich niemand mehr so richtig geglaubt. Auch die verantwortliche Landschaftsarchitektin Carla Lo nicht.
Bereits 2015 wurde sie um die Visualisierung für einen neuen Freiraum auf dem Schleusenkörper gebeten. Grundlage und Inspiration sollten die schwimmenden Gärten in Paris sein. Doch nach dem ersten Entwurf wurde erstmal gestoppt – über Jahre hinweg ist das Projekt auf dem Schreibtisch der Landschaftsarchitektin immer mal wieder auf- und abgetaucht, durchgeisterte die Medien und beschäftigte die Stadt. Grund für die lange Pause zwischen Visualisierung und Realisierung: Das Grundstück gehört dem Bund Österreich und nicht der Stadt Wien, und außerdem – noch weitaus hemmender – lag ein bestehender, externer Pachtvertrag vor. Umso größer war die Freude als Anfang des Jahres doch der Startschuss fiel, – Gemeinsam mit ihren Kollegen Arno Wachtler und Samuel Bucher hat Lo den Lockdown durchgearbeitet und die Einreichungen erstellt. Gleich drei wurden diesmal benötigt: eine baurechtliche, eine wasserrechtliche und eine denkmalpflegerische.
Die Geschichte als gestalterische Grundlage
Die Kaiserbadschleuse steht gemeinsam mit dem – von Otto Wagner gestalteten – Schützenhaus am gegenüberliegenden Ufer unter Denkmalschutz. Beide wurden im Zuge der Donaukanalregulierung ab 1904 gebaut und sollten (mit drei weiteren Schleusen) einen Handelshafen am Donaukanal, und damit mitten in der Stadt, ermöglichen. Doch dazu kam es nie. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg verlor die Donau als Handelsroute nach und nach an Bedeutung. Am Hauptstrom war außerdem mehr Platz vorhanden und derartige Pläne einfacher zu realisieren. Die Kaiserbadschleuse wurde überhaupt nur zur Funktionsprobe – und zu Vorführzwecken – in Betrieb genommen. Doch während der Denkmalschutz für so
manche Gestaltung Grenzen aufzeigt, bestärkte er hier viel mehr das Konzept. Denn schon die erste Visualisierung vor fünf Jahren erzählte von der Geschichte des Ortes und verband diese mit dem umgebenden Wasser und der Natur. So wurde die Sichtbeziehung zum
Schützenhaus verstärkt, die axialen Symmetrien von Otto Wagner übernommen und historische Elemente wie die Treppen freigehalten. Sogar die verrostete Tür und das Wehr mit dem schmalen Metallsteg blieben bestehen.
Künftig erreicht man die Insel aber über zwei großzügige Überplattungen. Gemeinsam mit den Statiker*innen von gmeiner haferl & partner wurden diese als eigenständige Elemente gedacht und legen sich als solche auf die historische Substanz. Topografisch modellierte Holzlandschaften bieten sich zum Sitzen an. Die darin integrierten Pflanzinseln – mit Gräser-Stauden-Mischungen, Zieräpfeln, Felsenbirnen und japanischen Blütenkirschen bepflanzt – vermitteln einen farbenfrohen, lieblichen Gartencharakter. Die Gestaltung auf der Schleuseninsel selbst übt sich hingegen in Zurückhaltung – Kleinsteinpflaster, Gräserbeete und Ulmen drängen ein urbanes Bild auf. Mit diesem Kniff vereinfachte Carla Lo nicht nur die Arbeit mit der historischen Substanz, sie schafft vor allem zwei sehr spannende, starke Charaktere auf sehr wenig Raum.