Zehn Jahre lang arbeitete der Architekt Till Gröner nach seinem Studium in der Entwicklungshilfe. Mit seinem Büro Supertecture will er nun die Strahlkraft der Architektur auch in den Globalen Süden bringen. Neben schönen Gebäuden will Gröner aber auch die Wirtschaft vor Ort ankurbeln – mit Projekten in Nepal und Tansania.
Satteldach an Satteldach reihen sich die vier „Roomhouses“ von Supertecture an das alte Schulgebäude in Dhoksan. Hier, in dem kleinen nepalesischen Bergdorf mit Blick auf das Himalayapanorama, fällt diese Erweiterung des Schulgebäudes zwar auf, integriert sich aber bestens in die bestehende Ortschaft. Die Bauten orientieren sich an ihrer Umgebung, imitieren die Dachform und ruhige Kubatur des Bestands. Doch so schlicht und kleinteilig die Typologie auch aussieht, die Häuschen selbst könnten nicht unterschiedlicher sein: Stampflehm, Ziegel, Naturstein – jedes Haus wurde mit einem anderen Material gebaut. Für das letzte in der Reihe kamen ausschließlich Fenster zum Einsatz – 700 an der Zahl. Entsprechend transparent hebt es sich von den massiven Nachbarhäusern ab. Es sind vier ungewöhnliche Häuser, entstanden unter ungewöhnlichen Umständen und mit ungewöhnlichen Mitteln.
Für Supertecture ist diese Schule in Dhoksan das erste Projekt im Globalen Süden – nicht aber für den heute 37-Jährigen Gründer Till Gröner. Gleich nach dem Abschluss seines Architekturstudiums an der Berliner Beuth-Hochschule zieht es Gröner in die Krisengebiete dieser Welt; erst bei Forschungsreisen, dann mit Hilfsorganisationen. Unter anderem tritt er den Grünhelmen bei, einer Organisation, die von seinem Mentor Rupert Neudeck ins Leben gerufen wurde und sich dem Wiederaufbau verschrieben hat. Gröner errichtet Häuser, Schulen, Krankenstationen und sakrale Bauten in Syrien, Somalia, dem Kongo, auf den Philippinen und überall sonst, wo Hilfe benötigt wird – zehn Jahre lang; bis er 2017 sein eigenes Unternehmen gründet.
Die Idee zu Supertecture kam Gröner in einem ebenso konkreten wie eigentümlichen Moment: „Ich stand in einem Fundamentschacht in Burkina Faso“, lacht er, als das Gespräch auf den Ausgangspunkt seiner heutigen Ambitionen fällt. „Plötzlich erschien Bundespräsident a. D. Horst Köhler mit einer riesigen Delegation zur Grundsteinlegung der Krankenstation von Francis Kéré. Ich habe zu diesem Zeitpunkt bereits lange in der Entwicklungshilfe gearbeitet, interessiert hat sich für diese Projekte kaum jemand. Baut man aber wie Kéré Architektur mit starkem Konzept und nachhaltigem Leitgedanken, dann generiert diese wie von selbst Aufmerksamkeit. Das ist die Strahlkraft guter Architektur, und mit dieser Öffentlichkeit kann man wirklich etwas verändern.“ Gröner ist überzeugt. Als er von der Patrizia Foundation nach Nepal eingeladen wird, sieht er den richtigen Moment gekommen – und gründet sein Unternehmen.
2015 wurde Nepal von einem Erdbeben der Stärke 7,8 erschüttert, rund 600.000 Häuser, darunter 4.000 Schulen und ein Teil des Unesco-Weltkulturerbes, wurden zerstört. Die Grundschule in Dhoksan blieb verschont, musste aber von der Patrizia Foundation renoviert werden. Supertecture erweitert im Zuge der Renovierung die Schule um vier weitere Gebäude. Genutzt wurden dafür wiederverwendete Materialien aus den durch das Erdbeben zerstörten Bauten. Organisiert wurde all das nach dem strukturellen Grundkonzept von Supertecture: Jedes Projekt wird nicht nur in kleinere „Roomhouses“ unterteilt, sondern auch in die Schirmherrschaft eines jungen Architekten oder Architekturstudenten übergeben. Nur 20.000 € kalkuliert das Unternehmen für jedes der Häuser – und viel Zeit.
Vorhandene Baumaterialien, traditionelle Bauweisen und viel Kreativität garantieren nicht nur für Nachhaltigkeit, die Ergebnisse schaffen auch Aufmerksamkeit und generieren so Budget für die nächsten Projekte. Dieser Leitgedanke des Unternehmens – die Realisierung herausragender Architektur und ihre Strahlkraft – zeigt sich besonders deutlich an der mittlerweile mehrfach ausgezeichneten Schulerweiterung in Nepal. „Heute kommen ganze Busse, um sich dieses Projekt anzusehen. Wenn man an diesen Orten außergewöhnliche Projekte baut, dann werden sie auch immer gesehen, und es ist einfach, sie zu finanzieren“, erklärt Till Gröner lächelnd. Seiner Erfahrung nach wollen die Menschen gerne helfen, allerdings werden Projekte nur unterstützt, wenn sie langfristig geplant, transparent abgewickelt und damit auch nachhaltig sind.
Trotz oder gerade wegen seiner Überzeugungen ist Gröner schon lange kein Einzelkämpfer mehr. Sein Unternehmen wächst beständig – an Mitstreitern, Unterstützern und Projekten. Supertecture ist zwar eine Firma, agiert aber wie eine Hilfsorganisation. Alle Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich, weshalb Gröner auch lieber von Mitstreitern spricht. Er selbst unterrichtet als Dozent an mehreren Universitäten, die Projekte finanziert Supertecture ausschließlich aus Spenden.
Ein Danke.
an Supertecture